Westfälische Nachrichten: Verteilung neu ordnen

Westfälische Nachrichten: Verteilung neu ordnen

Fragen an die hiesigen Abgeordneten Anja Karliczek und Frank Sundermann zur Finanzsituation der Kommunen

Stimmen Sie zu, dass die Klage der Kommunen über mangelnde Kostenbeteiligung von Bund und Land berechtigt ist? 

Anja Karliczek: Der Rückgang der Mittel aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz ist für unsere Kommunen im ländlichen Raum in NRW ein großes Problem. Durch veränderte Schlüsselansätze im Gemeindefinanzierungsgesetz haben gerade sie sinkende Zuweisungen durch das Land zu verkraften gehabt. Wir müssen aber die Ursachen näher beleuchten, denn 1. über Deutschland hinweg machen sowohl Kommunen als auch Länder in ihrer Gesamtheit Überschüsse. 2. im Verhältnis zu 1990 hat sich das Steueraufkommen mehr als verdoppelt (von 290 auf 619 Milliarden Euro). 3. im Jahr 1990 erhielt der Bund 48,7 Prozent und Länder und Kommunen 47,5 Prozent des Gesamtsteueraufkommens. Im Jahr 2013 erhielt der Bund 41,9 Prozent und Länder und Kommunen 53,1 Prozent.

Frank Sundermann: Das Land NRW hat aus meiner Sicht bisher sein Möglichstes zur Unterstützung der Kommunen getan. So ist nach dem Gemeindefinanzierungsgesetz (GfG) die Finanzausgleichsmasse, also das Geld, das den Kommunen aus den Steuereinnahmen des Landes zufließt, von rund 7,6 Milliarden Euro in 2010 auf rund 9,6, Milliarden in 2015 gewachsen. Ich verweise auch auf die strukturellen Verbesserungen im GfG, die durch SPD und Grüne in 2010 vorgenommen wurden und die den Kommunen langfristig 300 Millionen Euro jährlich mehr zukommen lassen. Die Bedeutung der Anstrengungen des Landes ist erst richtig zu bewerten, wenn man bedenkt, dass NRW ab 2020 ohne neue Kredite auskommen muss, das heißt, der Haushalt strukturell ausgeglichen sein muss und eine Neuverschuldung verfassungsrechtlich untersagt ist.

Wo sehen Sie als Bundestagsabgeordnete und als Landtagsabgeordneter, die zugleich in der Kommunalpolitik verwurzelt sind, Defizite in der Finanzausstattung der Kommunen? 

Anja Karliczek: Die Kommunen haben zu wenige Möglichkeiten für eigene Gestaltung. Wir müssen wieder dahin kommen, dass jede Ebene eigene Handlungsmöglichkeiten erhält, dafür aber auch dann die finanzielle Verantwortung trägt. Falsche Anreize spielen auch eine Rolle: Eine Kommune beispielsweise darf Einnahmen aus der Gewerbesteuer nur in der Höhe behalten, wie sie über dem durchschnittlichen Gewerbesteuersatz aller Kommunen in NRW liegt. Jede Kommune trägt aber mit einer Anhebung des eigenen Gewerbesteuersatzes auch dazu bei, dass der durchschnittliche Steuersatz steigt. Das ist eine Spirale, die Kommunen in NRW für Gewerbeansiedlungen immer unattraktiver macht. Eine akute Baustelle in den Kommunen ist die Flüchtlingsunterbringung. Grundsätzlich ist das eine Aufgabe der Länder und Kommunen. Der Bund gibt jetzt zusätzlich 500 Millionen Euro, weil natürlich klar ist, dass es aufgrund der hohen Steigerungsraten finanzielle Sorgen gibt. 108 Millionen Euro davon bekommt das Land NRW für seine Kommunen. Wichtig ist, dass dieses Geld auch an die Kommunen weitergeleitet wird. Aktuell gehen nur 54 Millionen Euro direkt weiter an die Kommunen. Grundsätzlich werden wir uns aber im Rahmen der Einhaltung der Schuldenbremse über die Altschuldenproblematik einiger Länder unterhalten müssen.

Sundermann: Es ist vor allem die Entwicklung der Ausgaben für Sozialleistungen, die die Handlungsfähigkeit der Kommunen in den letzten Jahren immer mehr beschnitten hat. Das hat zur Folge, dass freiwillige Aufgaben mehr oder weniger stark gekürzt werden und es auch im Pflichtbereich keinen Spielraum mehr gibt. Hier wurde zwar mit der Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter durch den Bund ein erster, wichtiger Schritt zur Entlastung der Kommunen gemacht. Dass das möglich wurde, ist nicht zuletzt der Initiative des Landes NRW zu danken. Das reicht aber bei Weitem nicht aus, um das Defizit der Kommunen deutlich zu reduzieren. Vor allem in den Bereichen der Eingliederungsbeihilfe für Behinderte und der Kinderbetreuung ist der Bund weiterhin gefordert. Die im Koalitionsvertrag zugesagten Zahlungen von fünf Milliarden Euro für die Eingliederungshilfe müssen in dieser Legislaturperiode zwingend realisiert werden.

Wie setzen Sie sich im Parlament für die Belange der Kommunen ein? Und haben Sie dabei schon einen Erfolg erzielt? 

Anja Karliczek: Wir haben eine Arbeitsgruppe Kommunales, die sich regelmäßig in Sitzungswochen trifft. Dort setzen wir uns intensiv mit Themen auseinander wie Breitbandausbau, Zuzug aus Krisengebieten, aber auch mit der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Erfolg erzielt man in der Politik immer als Gemeinschaft. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag legt einen deutlichen Fokus auf kommunale Belange. Für mein Aufgabengebiet „Finanzen“ zeigt sich das deutlich daran, dass uns die Steuerfreiheit interkommunaler Zusammenarbeit wichtig ist.

Sundermann: Als Abgeordneter eines Wahlkreises aus dem ländlichen Raum stehen für mich vor allem dessen Belange im Vordergrund. Konkret niedergeschlagen haben sich meine Aktivitäten in der Vermittlung von Fördergeldern zur Finanzierung einer Potenzialanalyse der Bergbauregion im Rahmen der Kohlekonversion sowie der erstmaligen Berücksichtigung des „Ländlichen Raums“ im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen aufgrund eines von mir mitentwickelten Antrages. Daneben habe ich mich für die Erhöhung von Fördermitteln für sogenannte Leader-Projekte eingesetzt, die bei der Umsetzung vor allem das bürgerschaftliche Engagement und Know-How einbinden. Ein Ziel meiner Abgeordnetentätigkeit ist die strikte Einhaltung des Konnexitätsprinzips, das eine Übertragung von Landesaufgaben auf die Kommunen ohne entsprechende Kostenübernahme verhindern soll.

Die Bundesregierung scheint in der Finanzpolitik die „Schwarze Null“ zum Maß aller Dinge erklärt zu haben. Zu Lasten der Kommunen? 

Karliczek: Der Bund leistet jetzt seinen Beitrag, den Rucksack unserer Kinder nicht ständig mit neuen Schulden zu beschweren. Das ist auch gut für unsere Kommunen. Denn finanzielle Beinfreiheit bekommen alle föderalen Ebenen nur, wenn wir gemeinsam das Ziel „keine weiteren Schulden“ verfolgen.

Sundermann: An der Schäuble-Politik der „Schwarzen Null“, die vor allem den niedrigen Zinsen, hohen Steuereinnahmen und der Rekordbeschäftigung zu verdanken ist, partizipieren Länder und Kommunen nur bedingt, da dem Bund eindeutig der Löwenanteil des Steueraufkommens zufließt. Hier ist es dringend geboten, über einen neuen Verteilerschlüssel nachzudenken, wie es jetzt in Ansätzen bei der Diskussion zwischen Bund und Ländern um die Neuordnung der föderalen Finanzmittel (Stichwort „Soli“) geschieht. Aus meiner Sicht gehören hier auch die Kommunen mit an den Verhandlungstisch.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung brüstet sich mit zusätzlichen Finanzmitteln für die Kommunen. Das ist doch nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, oder? 

Karliczek: Die Frage ist immer: Wo kommt das zusätzliche Geld denn her? Mit neuen Schulden im Land Löcher der Kommunen zu stopfen ist langfristig keine Lösung. Aus Sicht des Bundes sind die Länder mit ihren Kommunen eine Einheit. So sieht es das Grundgesetz vor. Was wir wirklich brauchen, ist eine echte Transparenz der Verantwortlichkeiten zwischen Bund auf der einen Seite und Ländern und Kommunen auf der anderen Seite. Dann ist auch eine passende finanzielle Ausstattung der jeweiligen Aufgaben möglich.

Sundermann: Angesichts der bereits genannten zusätzlichen Finanzierungsmittel ist noch auf die Anstrengungen des Landes zur Umsetzung der Inklusion und zur Kostenübernahme bei der Flüchtlingshilfe zu verweisen. Aber auch hier gilt der Verfassungsauftrag der Schuldenbremse ab 2020.

Muss die finanzielle Basis für die Städte und Gemeinden grundlegend geändert werden, weg von den unberechenbaren Schlüsselzuweisungen, die mal fließen und dann wieder nicht? 

Anja Karliczek: Jedes Bundesland ist zuständig für die finanzielle Ausstattung seiner Kommunen. Dies ist geregelt im Gemeindefinanzierungsgesetz. Die Kommunen bekommen aus allgemeinen Steuermitteln direkt zwei Prozent aus der Umsatzsteuer, 15 Prozent aus der Einkommensteuer und zwölf Prozent aus der Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge. Unberechenbar sind häufig die Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Das ist für viele Kommunen ein Problem.

Sundermann: Die Höhe von Schlüsselzuweisungen ist abhängig von Steuereinnahmen von Land und Kommunen. Diese aber sind abhängig von vielen Faktoren, somit in der Regel unberechenbar – siehe Finanzkrise.

Was ist aus Ihrer Sicht unabdingbar für eine solide und kontinuierliche Gemeindefinanzierung? 

Anja Karliczek: Wir sollten die Chance nutzen, das Finanzierungsgeflecht zwischen Bund und Ländern zu entwirren. Eine echte Aufgabenkritik ist notwendig. Im Anschluss daran muss dann die Finanzierung auf solide Füße gestellt werden. Das Grundgesetz regelt die Zuständigkeit des Landes für die Gemeinden. Das halte ich für eine gute Regelung. Unsere föderale Struktur hat sich bewährt. Wir sollten sie nicht zugunsten eines zentralistisch organisierten Staates über Bord werfen.

Sundermann: Die Chance für eine relativ solide Gemeindefinanzierung bietet die bei der Frage zur Schäuble-Politik bereits angeführte Diskussion zwischen Bund, Ländern und Kommunen um die Neuordnung der föderalen Finanzmittel (Stichwort „Soli“). Nur wenn es hier zu einer für alle Seiten akzeptablen Einigung kommt, könnte eine langfristig auskömmliche Finanzierungsbasis für die Kommunen geschaffen werden.



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