Rede: Mehr Schutz für Versicherte – Bundestag beschließt Novellierung der Versicherungsaufsicht

Rede: Mehr Schutz für Versicherte – Bundestag beschließt Novellierung der Versicherungsaufsicht

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Anja Karliczek (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin die Letzte – wir haben es gerade gehört – und mache jetzt den Sack in dieser zweiten und dritten Lesung zu.

(Christian Petry (SPD): Nein, nicht die Letzte! Die letzte Rednerin!)

– Zu diesem Tagesordnungspunkt.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, meinem Kollegen Herrn Zöllmer, mit dem ich in den letzten Monaten und auch beim Thema Lebensversicherungsreformgesetz intensiv habe zusammenarbeiten dürfen, dafür Dank zu sagen, dass die Zusammenarbeit in der Koalition immer so gut klappt. Deswegen will ich mich jetzt auch nicht auf alle Einzelheiten stürzen, sondern mich mit den wesentlichen Dingen beschäftigen, die diesem Gesetzentwurf zugrunde liegen, und dann die Gelegenheit nutzen, zu erklären, warum einige Zusammenhänge, die hier immer wieder in den Raum gestellt werden, falsch sind.

Der Abschluss von Solvency II – das haben wir ja jetzt schon einige Male gehört – ist etwas Besonderes. Denn seit fast zehn Jahren wird über dieses Gesetz diskutiert, und es bleiben noch 16 Jahre zur Umsetzung – ein Vierteljahrhundert für ein Gesetz, das ist schon etwas Besonderes. Allein an der zeitlichen Dimension erkennen wir die Tragweite dieses Gesetzes, aber eben auch an den massiven Reaktionen unserer Versicherer; denn ihre Sorge ist nach wie vor sehr groß. Vor allem bei den kleinen und mittelständischen Versicherungsunternehmen, die es bei uns ja glücklicherweise noch gibt, sind die Sorgenfalten angesichts dieses Mammutwerkes tief. Doch ich versichere ihnen: Uns als CDU/CSU-Fraktion sind ein fairer Wettbewerb unter den Marktteilnehmern in Europa und der Erhalt unserer mittelständischen Wirtschaftsstruktur sehr wichtig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb setzten wir eins zu eins um, was uns die europäische Richtlinie vorgibt, und haben dabei stets die Augen darauf gerichtet, dass die Umsetzung der neuen Vorschriften für unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen machbar bleibt.

2007 entstand die Idee einer europaweit einheitlichen Regulierung der Versicherungswirtschaft. Das war vor der Finanzkrise. Seit der Krise nehmen wir die Risiken der Finanzmärkte ganz anders wahr. Das hat auch die Verhandlungen und die Regeln von Solvency II spürbar beeinflusst. Was sich nicht geändert hat, sind der Leitfaden und das übergeordnete Ziel der novellierten Versicherungsaufsicht, erstens den Schutz der Versicherten vor einer Insolvenz von Versicherungsunternehmen zu verbessern und zweitens eine hohe Risikosensitivität unserer Versicherungsunternehmen einzufordern.

Versicherungsunternehmen sind ‑ das ist heute Gott sei Dank ja schon mehrfach gesagt worden ‑ in ihrer Geschäftstätigkeit auf das Solidarprinzip der Versichertengemeinschaft ausgelegt, sie bündeln Einzelrisiken und stehen mit den Mitteln der Versicherten solidarisch für eingetretene Risiken ein. Was wir heute beschließen, die Novellierung eines rund 115 Jahre alten Aufsichtsgesetzes, ist an dieser Stelle aber noch mehr, nämlich eine Verbesserung des Versichertenschutzes. Es ist ein grundlegender Paradigmenwechsel in der europäischen und der deutschen Versicherungsaufsicht. Wir können es nicht oft genug sagen: Wir starten eine neue Philosophie, die im Kern auf drei Säulen basiert:

Erstens. Wir verpflichten die Unternehmen, ihre Kapitalanlagen risikoadäquat und nicht mehr dem Geschäftsumfang entsprechend mit Eigenkapital zu unterlegen.

Zweitens. Wir verpflichten die Unternehmen, sich intern über ein unternehmensinternes Risikomanagement mit ihren Risiken zu beschäftigen.

Drittens. Wir verpflichten die Unternehmen, der Aufsicht und der Öffentlichkeit regelmäßig über Risiko- und Ertragslage zu berichten.

Das neue Aufsichtssystem ist prinzipienorientiert. Das bedeutet, dass Ziele vorgegeben werden, nicht aber, wie die Unternehmen diese zu erreichen haben; das entscheiden sie selbst.

Nach den ersten einer ganzen Reihe von Gesprächen war relativ schnell klar, dass es weniger die neuen Kapitalanforderungen sind als die neue Geschäftsorganisation und die erweiterten Berichtspflichten, die insbesondere die kleinen und mittleren Versicherer sehr umtreiben; denn das Gesetz bringt einen erheblichen Mehraufwand mit sich. Der Aufbau eines vierstufigen Risikomanagements ist bei wenigen Mitarbeitern eine oft kaum überwindbare Barriere. Ein Vertreter eines kleinen Unternehmens sagte einmal: Wir müssen unsere Reinigungskräfte einbinden, so viel Personal haben wir gar nicht.

Uns ist es deshalb ein großes Anliegen, dass die BaFin das im Gesetz vorgesehene Proportionalitätsprinzip wo immer möglich anwendet und dadurch die Unternehmen entlastet werden. Wir wollen, dass der Aufwand für die Unternehmen in einem angemessen Verhältnis zu deren Versicherungsgeschäft steht. Deswegen haben wir im Verlauf der Diskussion zu diesem Gesetz noch zwei Punkte direkt ins Gesetz aufgenommen: Erstens haben wir mit einer Klarstellung im Gesetzestext sichergestellt, dass operative Tätigkeiten von der internen Revision unabhängig sein müssen, nicht aber Funktionen. Zweitens legt das Gesetz jetzt zudem fest, dass Geschäftsleiter auch Schlüsselfunktionen wahrnehmen können, eine Koppelung von Schlüsselfunktionen bleibt jedoch auch EU-rechtlich untersagt.

Wir gehen davon aus, dass die Versicherungsaufsicht von den gegebenen Möglichkeiten hinreichend Gebrauch macht, gerade die kleinen Unternehmen von Berichtspflichten zu befreien. Wir haben Vertrauen in die solide Arbeit unserer BaFin. Ich finde es gut, sagen zu können, dass unsere Durchführungsorgane oft eher dafür gescholten werden, dass sie Gesetze zu eng und zu genau nehmen, als dass man ihnen vorwirft, sie großzügig auszulegen. Lediglich die Umsetzung des Proportionalitätsprinzips werden wir ‑ das haben wir auch schon ein paar Mal gesagt ‑ uns nochmals genau anschauen. Das zu erwähnen, ist mir wichtig. Deswegen haben wir auch im Bericht des Finanzausschusses festgehalten, dass uns die BaFin direkt im Jahr nach der Einführung von Solvency II, also im Jahr 2017, zur Umsetzung des Proportionalitätsgrundsatzes berichten wird; denn wir wollen im Sinne der Kunden die Vielfalt der deutschen Versicherungslandschaft erhalten und einen fairen Wettbewerb sicherstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Die umfassende Novellierung des Versicherungsaufsichtsgesetzes ist von den Versicherungsunternehmen mittlerweile akzeptiert. Die langen Jahre der Diskussion bis zur Einführung dieser Novelle haben daran aus meiner Sicht einen großen Anteil. Gerade auch auf die Herausforderung der Niedrigzinsphase ist Solvency II grundsätzlich die richtige Antwort; denn quantitatives und qualitatives Risikomanagement muss sich an den Gegebenheiten des Marktes orientieren.

Ich will noch einen weiteren wichtigen Punkt der Debatte ansprechen. Immer wieder wurde geäußert, dass der Schutz des einzelnen Verbrauchers gegenüber dem Schutz der Unternehmen vor Insolvenz Vorrang haben müsste. Diese Frage trifft den Kern einer Versicherungsgemeinschaft und das Prinzip der Versicherung: Es ist die Frage, ob die Interessen der Versicherten oder die der Solidargemeinschaft Vorrang haben. Für uns steht klar die Solidargemeinschaft im Vordergrund.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will das am Beispiel der deutschen Lebensversicherung deutlich machen; denn gerade hier wird immer wieder das Prinzip der solidarischen Versichertengemeinschaft infrage gestellt. Seit mehr als 100 Jahren gibt es die deutsche Lebensversicherung. Von Anfang an und bis in die heutige Zeit liegt ihr die Idee der Solidargemeinschaft zugrunde. Sie ist privatwirtschaftlich organisiert, aber dem Solidarprinzip einer Gemeinschaft verpflichtet. Sie arbeitet als Kollektiv, das mit einem hohen Maß an Stabilität gemeinsam spart, Sicherheit bietet und über die Zeit im Verbund die Risiken ausgleicht, und zwar in guten wie in schlechten Zeiten, in Zeiten hoher wie niedriger Zinsen, in Zeiten hoher wie geringer Risiken ‑ und das über Generationen hinweg.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Risiken gemeinsam zu übernehmen, bedeutet immer, einen eigenen angemessenen Beitrag zu leisten, wenn ein Mitglied der Gemeinschaft einen Schaden erlitten hat. Damit werden Lebensrisiken, die jeden von uns treffen können, beherrschbar. Damit sind wir solidarisch in der Gemeinschaft der Versicherten. Damit gehen wir aber auch die Verpflichtung ein, uns selbst einzubringen. Es ist das Prinzip der Risikominimierung für jeden Einzelnen, nicht das Prinzip der Gewinnmaximierung für jeden Einzelnen, liebe Frau Karawanskij.

Das Selbstverständnis als Solidargemeinschaft wurde während der Beratungen konkret und intensiv anhand der Funktionsweise der freien RfB, also der Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen, die Sie eben schon angesprochen haben ‑ ein kompliziertes Wort und ein kompliziertes Regelwerk ‑, diskutiert. Ich will hier kein handelsrechtliches Seminar abhalten, aber es ist wichtig, noch einmal klarzustellen: Die freien Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen sind genau der Posten in der Bilanz eines Versicherers, der den Topf abbildet, aus dem über Generationen hinweg das Kollektiv der Versicherten mit stabilen Erträgen versorgt wird. Ich sage bewusst: mit stabilen Erträgen; denn es ist gerade das Prinzip eines Versicherers, nicht einzelnen Jahrgängen von Versicherten maximierte Erträge zu garantieren, sondern über Generationen hinweg möglichst stabile Erträge.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen speisen sich aus Überschüssen; das wissen Sie. Bei der RfB fließen jeweils 90 Prozent der Kapitalanlagegewinne und der Risikogewinne sowie 50 Prozent der Kostengewinne ein. Diese Überschüsse kommen den Versicherten zugute, und zwar vollständig. Das geschieht jedoch nicht unmittelbar und individuell für jeden einzelnen Versicherten. Die freie RfB ist vielmehr eine Zahlungsverpflichtung des Versicherers an die Gemeinschaft der Versicherten, nur der Zeitpunkt, die Höhe und der Einzeladressat sind in dem Moment noch unbestimmt.

Vielfach war die Kritik zu hören, dass die Versicherer mithilfe der freien Rückstellung für Beitragsrückerstattungen, die ja eigenmittelfähig ist, ihre Eigenmittelquote stärken würden, anstatt die Überschüsse aus der freien RfB unmittelbar an die Kunden auszuschütten. Somit würden Kundengelder als Eigenmittel eingesetzt. Ich sage es noch einmal: Die Gelder der freien RfB gehören den Kunden ‑ unwiderruflich. Das steht der Eigenmittelfunktion der freien RfB aber gar nicht entgegen; denn es ist die praktische Umsetzung des Modells des kollektiven Sparens und Versicherns. Müsste an dieser Stelle echtes Eigenkapital eingesetzt werden, wer sollte das bezahlen? Kapitalgeber stellen ihr Geld stets nur gegen eine angemessene Rendite zur Verfügung. Die Solidargemeinschaft erspart sich damit gegenseitig die Kosten für externe Kapitalgeber und konnte dadurch in den vergangenen Jahren trotz sinkender Zinsen noch eine beachtliche Rendite erwirtschaften.

Ein weiterer Punkt, der immer wieder besonders von den Linken kritisiert wurde, ist die Klarstellung in Bezug darauf, dass Versicherungsunternehmen in sogenannte alternative Investmentfonds investieren dürfen. Dazu kann ich nur immer wieder sagen: Je breiter die Kapitalinvestitionen auf verschiedene Investitionszweige gestreut sind, umso besser. Ich denke, Sie alle kennen die erste Regel der Kapitalanlage: Lege nicht alle Eier in einen Korb. Zudem sind unter Solvency II die Versicherer verpflichtet, ihre Kapitalanlagen adäquat zum Risiko mit Eigenkapital zu unterlegen. Gerade das ist eine Säule des neuen Regelwerks.

Ich sagte bereits am Anfang meiner Rede, dass die Finanzkrise diesem Gesetz einen deutlichen Stempel aufgedrückt hat. Das Gesetz ist eine Antwort auf stark veränderte europäische Rahmenbedingungen und ein wichtiger Schritt, Vertrauen in eine Branche zu stärken, die wir wesentlich für unsere Altersvorsorge – und damit für unsere Zukunft – brauchen.

Die drei Säulen unserer Altersversorgung – gesetzlich, betrieblich und privat – sind nur leistungsfähig, wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Wir haben das Glück eines immer länger werdenden Lebens; aber wir werden eben auch immer weniger. Zum Erhalt unseres Lebensstandards werden wir – auch wenn Sie das glauben, Herr Birkwald – nicht allein auf die staatliche Säule der Altersversorgung bauen können.

Wir müssen – ich werde nicht müde, es immer und immer wieder zu betonen – eigene Vorsorge leisten. Auch wenn es nicht immer einfach ist: Wir müssen mit einer betrieblichen und/oder einer privaten Altersvorsorge selbst etwas für unseren Lebensabend tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir dürfen den Staat nicht überfordern, denn wir alle sind der Staat. Gemeinsam können wir nur so sozial sein, wie wir es uns leisten können. Deshalb muss es so viel Solidarität wie nötig und so viel eigene Leistung wie möglich geben.

Mit der Novellierung des Versicherungsaufsichtsgesetzes wollen wir das Vertrauen stärken, dass sich die eigene Leistung trotz allem lohnt. Diese Debatte fällt in eine Zeit großer Unsicherheit. Wir müssen als Europäische Gemeinschaft Geschlossenheit zeigen. Eine Gemeinschaft braucht gemeinsame Regeln. Die Rücksicht auf nationale Besonderheiten bleibt dabei immer eine Herausforderung. Das war auch in der Diskussion um Solvency II immer wieder ein Thema. Dieses Gesetz berücksichtigt beides. Deswegen werden wir als CDU/CSU-Fraktion diesem Gesetz heute zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



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